Alienatio

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(im lateinischen als „Entfremdung“ übersetzt)

Die Entfremdung des Selbstporträts

Laut Vilém Flusser ist die Fotografie als eine Art „Fingerabdruck“, den das Objekt auf einer Oberfläche hinterlässt, zu sehen, und nicht eine Darstellung des Objekts wie in der Malerei. Fotografien sind als objektive Ideen, die wir im Verhältnis zu den uns umgebenden konkreten Ideen haben. Es gibt subjektive Phasen im Akt des Fotografierens, somit wird die Entscheidung zwischen Subjektivität und Objektivität problematisch. Demnach dient Fotografie als Werkzeug eines objektiven Sehens. Denn den Standort, den der Fotograf sucht, ist ein Punkt innerhalb des Zeit-Raums. (Vilém Flusser, „Die Geste des Fotografierens“-aus dem Buch Gesten, Versuch einer Phänomenologie von 1994)

Beim Aufnehmen eines „Selfies“ zeigt sich damit nicht, wie man ist, sondern wie man wahrgenommen werden will, meint Philipp Tingler. Das Selfie soll den Augenblick perfekt machen. Die Fotoserie „Alienatio“ handelt von dem Verhältnis von Selbstbild und Selbstporträt im digitalen Zeitalter.

Wenn man den reichlich strapazierten Begriff der „Entfremdung“ als eine Art gestörte Welt- und Selbstaneignung auffasst, wie etwa die Philosophin Rahel Jaeggi, leisten Selfies einen ganz unmittelbaren Beitrag zu einem Phänomen, das man „digitale Entfremdung“ nennen könnte: Die Menschen können mit der von ihnen selbst veranstalteten Inszenierung ihrer selbst nicht mehr mithalten.

Konrad Paul Liessmann, Professor für Philosophie und Ethik an der Universität Wien, stellt folgende Frage: Was bedeutet diese demonstrative fotografische Selbstthematisierung des spätmodernen Subjekts? Liessmann schreibt: „Das „Selfie“ auch von der Unzulänglichkeit des Augenblicks…Man zeigt sich, wie man ist, und demonstriert damit, dass man sich vielleicht doch nicht so ernst nimmt. Die Armlänge wird zum Massstab der ironischen Selbstdistanzierung.“ Das Selfie lebt durchaus nicht von der Unzulänglichkeit des Augenblicks, sondern der Augenblick soll durch das Selfie perfekt gemacht werden. (aus dem Artikel von Philipp Tingler)

Es wird durchdringend und enthüllend sein, wenn der Fotograf einen guten Moment gewählt hat, um seine Reflexion über sich selbst abzubrechen. Deshalb bildet die Reflexion einen Bestandteil der Suche des Fotografen und seiner Manipulation, sie ist die Suche nach dem Selbst und eine Manipulation seiner selbst. (Vilém Flusser)

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